Die Königin von Troisdorf in den 60ern und 70ern, das ist ohne Zweifel Oma Lena. Von ihr heißt es: „Kleiner als die meisten Menschen, doch sie schafft es, selbst auf Menschen herunterzusehen, die 3 Köpfe größer sind als sie.“ Zusammen mit ihren Töchtern Hilde und Ilse bilden sie das matriarchische streng katholische, Zentrum der Familie. Ilse, die Mutter des Erzählers, betreibt mit ihrem Mann Reinhold ein Fotoatelier, stets überarbeitet, stets auf dem Sprung, aufgerieben in der Arbeit, das der Familie stetig wachsenden Wohlstand beschert. Vater Reinhold ist ein Altnazi (Untertitel des Buchs „Wie der Endsieg ausblieb“), ein ewig Gestriger, der seine Vergangenheit in Alkohol und Nikotin ertränkt. Erzähler und Sohn Andreas verbringt daher einen großen Teil seiner Kindheit bei Tante Hilde und dem Onkel, dem „Roten Bruno“. Die Bruchlinien sind aufgezeigt: die striktgläubigen Kirchengängerinnen gegen die männlichen Atheisten, der ewig Gestrige gegen den Sozialdemokrat, und doch, ein Streit wird in diesen Jahren des Wirtschaftswunders in der Familie nur in Andeutungen und niemals offen ausgetragen, ein Leitbild ist die Familie als ein Bollwerk gegen die Unsicherheit in der Welt.
Andreas, einziges Kind und Enkelkind, ist der Sandmann im Getriebe. Später wird er den Zirkel durchbrechen und den Wehrdienst verweigern, hier heißt es noch von Oma Lena: „Einer von deiner Sorte hat uns gereicht.“ Zuwendung, Zuspruch und Zärtlichkeit sind in Andreas´ Kindheit kaum vorhanden. Doch beschert dieser Roman des mit dem Erzähler gleichnamigen Autors uns Momente unverhoffter Freude, wie Andreas mit Hilfe des Vaters Fahrradfahren lernt, über die Streiche des Vaters lacht und mit dem ersten geschenkten Tonbandgerät 1970 ein Hörspiel „Es brennt!“ aufnimmt.
Das Buch ist von einem assoziativen Erzählstil geprägt. verschiedene Textsorten wie Briefe, Aufzählungen, Tagebucheinträge werden äußerst geschickt zu sinngebenden Abschnitten zusammengefügt, so daß sich ein fließendes Ganzes ergibt. Fazit: eine 3 Generationen umfassende Familiengeschichte, die man getrost als exemplarisch für diese Zeit nehmen kann. Ständig beschleicht eine beim Lesen das Gefühl der Allgemeingültigkeit des Erlebten von einem Erzähler, der das Herz am rechten Fleck hat. Der Autor, auch Filmemacher für die ARD, hat mir erzählt, daß er für das Buch keinen Verlag gefunden hat und es deshalb kurzerhand selbst herausgab. Das Buch mausert sich zum Geheimtipp, beim Literaturpreis Ruhr 2022 kam es in die engere Auswahl für den Preis.