Planet ohne Visum

Jean Malaquais, geboren als Wladimir Malakow in ein jüdisches Viertel in Warschau, Weltenwanderer und Rebell, marxistischer Aktivist, kommt 1926 nach Marseille, wo er seine sprachliche Heimat findet. 1942 emigriert er nach Mexiko. Er schreibt bis 1947 am Roman, der veröffentlicht wird und überarbeitet ihn bis kurz vor seinem Tod 1999.

Der Roman „Planet ohne Visum“ handelt von wenigen Monaten 1942, bevor die Deutschen in die „freie Zone“ einmarschieren. Aktivist David Rousset spricht davon, daß „Nur zwei Tore nach 1940 aus Europa hinausführen: Marseille und Auschwitz.“ Malaquais zeichnet das Porträt einer Stadt mit seinem vieux port, dem alten Hafen, und wirft den Blick auf ein Sammelbecken der Hoffnung und der Widerwärtigkeit.

Da sind zum einen hochrangige Polizeibeamte, Vertreter des französischen Großbürgertums, das mit den Deutschen kooperiert (Pontillac), sowie ihre Handlanger (Melodie, Matthieu), die Judenrazzien schon im August 1942 organisieren. Da gibt es klassenkämpferische Zellen in der Arbeiterschaft einer Süßwarenfirma (Laverne, Hirsch), die in die Resistance münden (dieser gehören auch antidemokratische, royalistische Aktivisten (Davy) an), Menschen von Konsulaten und Notrettungskommittees (Aldous J. Smith), die Menschen in Not zur Ausreise verhelfen wollen – jüdischen Bürgern wird die Ausreise ab Herbst ´42 verboten – und schließlich bilden das Zentrum des Buchs die vielen, die sich Emigration erhoffen, die ohne Pass und ohne Heimat sind (die Haenschels, Stepanoffs, Karen Trinyi), wie Malaquais selbst einer war. Vielen Figuren, denen der Autor ein literarisches Denkmal setzt, hat es wirklich gegeben.

Jean Malaquais legt in „Planet ohne Visum“ nicht wenige Erzählstränge aus, die er in großem, eindrucksvollen Bogen wieder zusammenführt. Als ein bedeutendes Werk der französischen Exilliteratur ist es 2022 erstmals auf Deutsch übersetzt worden und muß keine Vergleiche scheuen zu den Großstadtromanen jener Zeit von Döblin, Dos Passos oder Joyce. Formal an den Erzähltechniken der Moderne geschult, entfaltet es die Faszination jedoch besonders beim Leser mit den gut erzählten, realistischen Geschichten und Charakteren, hierin angelehnt an die großen russischen Realisten.

Keine Scheu vor großer Literatur! Tauchen Sie ein in dieses Werk, leben Sie eine Weile mit den Figuren, zu denen Sie aus dem Alltag zurückkehren wollen. Wenn Sie mögen, machen Sie Ähnlichkeiten zum Schicksal heutiger Flüchtlinge aus, die Willkür ausgesetzt (vgl. unsere Veranstaltung mit Alea Horst sowie die Ausstellung „Flucht“ im Worthaus) und auf Hilfe angewiesen sind (s. unser Buchtipp Cedric Herrou – „Ändere deine Welt“). All das eröffnet Ihnen dieser hervorragende Roman.

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