Was passiert mit einer Familie, wenn ein ganz besonderes Kind – in diesem Fall ein blinder, stark beeinträchtigter Junge – geboren wird? Dieser Frage nähert sich die französische Autorin mit großem Einfühlungsvermögen und wundervoller, fast poetischer Sprache.
In einem kleinen Dorf in den Cevennen kommt als drittes Kind der Familie dieser kleine Junge zur Welt und von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr, wie es vorher war.
Die Sorge um das Kind, das nichts sieht, sich nicht bewegen kann, und von dem man nicht weiß, was es von seiner Umwelt wahrnimmt, bestimmt fortan das Leben der Familie. Und vor allem die beiden älteren Geschwister gehen ganz unterschiedlich mit ihrem besonderen „Brüderchen“ um. Der große Bruder baut eine sehr enge und liebevolle Beziehung zu ihm auf, umsorgt ihn und gibt sich in seiner Verantwortung für ihn fast selbst dabei auf. Die Schwester dagegen ignoriert ihn weitestgehend, ekelt sich bisweilen und schämt sich dafür. Zudem leidet sie unter der nachlassenden Zuwendung ihres großen Bruders und fühlt sich im Stich gelassen. Erzählt wird die Geschichte vom Blickwinkel der Geschwister, aber aus der Sicht der Steine in den Mauern, die Haus und Hof der Familie umgeben. Diese ungewöhnliche Perspektive erschafft ein sehr besonderes Lesegefühl: Durch den Blick von außen entsteht eine gewisse Distanz, wodurch das Erzählte zu keinem Zeitpunkt in Kitsch oder Rührseligkeit abzurutschen droht. Und gleichzeitig vermitteln die die Familie umgebenden Steine aber auch ein Gefühl von Schutz, Wärme und Geborgenheit.
Leise und doch unglaublich intensiv beschreibt Clara Dupont-Monod, wie sich das Gefüge der Familie durch die Geburt des besonderen Kindes verändert und wie die Lebenswege jedes Einzelnen davon geprägt werden. Und sie erzählt von einer Familie, die es trotz allem schafft, nicht an ihrem Leid zu zerbrechen.
„Brüderchen“ – eine Geschichte, die lange nachhallt, und für mich definitiv schon jetzt ein Lieblingsbuch des Jahres.